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Nach dem Tod des halleschen Regierungsbaumeisters Gustav Hasse am 16. Juni 1899, dem Architekten der Knappschafts- Heilstätte Sülzhayn, übertrug die Norddeutsche Knappschafts-Pensionskasse dem ebenfalls in Halle/Saale ansässigen Architekten Friedrich Fahro (1857–1930) die Ausführung von Neu- und Umbaumaßnahmen bei der Knappschafts-Heilstätte. Bis 1930 kamen insgesamt 11 Projekte im Auftrag der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse nach Plänen Fahros in Sülzhayn zur Ausführung. Das erste Projekt war der Neu- bzw. Anbau einer Kapelle an den Ostflügel der Lungenheilstätte.

Paul Stieber, Direktor der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse zu Halle/Saale seit 1891, schreibt in den Mittheilungen der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse zu Halle a. S. vom 15. Dezember 1907:

»Bei Errichtung der Knappschaftsheilstätte Sülzhayn war zwar von vornherein die regelmäßige Abhaltung von Gottesdiensten in der Heilstätte durch den Sülzhayner Ortsgeistlichen in Aussicht genommen worden, man hatte aber die Einrichtung eines besonderen Raumes hierfür nicht vorgesehen, vielmehr geglaubt, daß die Gottesdienste im großen Saale der Heilstätte würden stattfinden können. Dies hat sich bald als undurchführbar erwiesen, da der wirtschaftliche Betrieb der Heilstätte durch die Herrichtung des Saales für den kirchlichen Zweck außerordentlich behindert wurde. Auch war die Akustik sehr schlecht. Ausschlaggebend war aber, daß es nicht angemessen war, Gottesdienst in demselben Raume abzuhalten, wo die Mahlzeiten stattfanden. Man hatte dann versuchsweise die Gottesdienste in die obere Wandelhalle verlegt, die aber mit ihrer schmalen und langen und noch dazu gekrümmten Form noch weniger als der Saal dafür geeignet war. Die große Zahl der Kranken und Angestellten und die lange Dauer der Kur ließ es aber unbedingt notwendig erscheinen, für die Befriedigung des kirchlichen Bedürfnisses besondere Einrichtungen zu schaffen. Die Pfleglinge auf den Besuch der Gottesdienste in Sülzhayn zu verweisen, war aus verschiedenen Gründen nicht anhängig. So blieb nur die Einrichtung eines besonderen Kirchenraumes übrig. Seit Jahren schon hatte den Vorstand dieser Plan beschäftigt, verschiedene Projekte waren aufgestellt und wieder verworfen worden, bis nun die Sache spruchreif wurde....«

Am 21. Oktober 1905 erklärte der Aufsichtsrat der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse sein Einverständnis zur Errichtung einer Kapelle. Der Vorstand beauftragte daraufhin Friedrich Fahro mit der Ausarbeitung von Bauplänen. Diese legte der Vorstand dem Aufsichtsrat am 9. Juni 1906 vor. Der Aufsichtsrat stimmte den Plänen zu, hielt aber die Zustimmung der Generalversammlung für erforderlich, die erst im Oktober 1906 zusammenkam.
Direktor Stieber besuchte im Laufe des Sommers 1906 kleine Kirchen und insbesondere Kirchen in Lungenheilstätten. Aufgrund der dort gewonnenen Eindrücke gelangte er zur der Überzeugung, daß das beim Aufsichtsrat eingereichte Projekt nicht ausreichend sein würde. Ein zweites, großzügigeres Projekt wurde daraufhin von Friedrich Fahro ausgearbeitet. Dieses erhielt am 22. Oktober 1906 die Zustimmung des Aufsichtsrates und der Generalversammlung der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse. Für den Bau der Kapelle wurden 30.000 Mark bewilligt.
Die endgültigen Baupläne wurden am 28. Dezember 1906 fertiggestellt und bei der zuständigen Baupolizeibehörde in Osterode/Harz eingereicht. Der dort prüfende Baurat Mende bemängelte an den Plänen das Fehlen eines gesonderten Einganges zur Kapelle von außen und den durch den Anbau der Kapelle abzusehenden schlechteren Lichteinfall in die Räume des Ostflügels. Die Baupläne wurden daraufhin abgeändert. Außerdem mußten Verhandlungen mit dem Konsistorium in Hannover geführt werden. Erst am 17. Mai 1907 erteilte das Ilfelder Landratsamt die Bauerlaubnis.
Ein Datum für die Grundsteinlegung ist nicht überliefert. Dieses läßt sich anhand der Quellen lediglich auf den Zeitraum zwischen 17. Mai und 15. Juni 1907 eingrenzen. Der Bau der Kapelle ging zügig von statten. Bereits im August 1907 war der Rohbau fertig. Der für Oktober 1907 vorgesehene Einweihungstermin konnte aber aufgrund der Verzögerungen im Zusammenhang mit der Erteilung der Bauerlaubnis nicht gehalten werden. Erst am 1. Dezember 1907 (1.Advent) wurde die feierliche Einweihung der Kapelle vollzogen.

Die Kosten für den Bau der Kapelle wurden um 3150,80 Mark überschritten. In den Mitteilungen der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse zu Halle a. S. (Nr. 10 vom 15.10.1908, S. 38) heißt es hierzu: »Diese Überschreitung wurde notwendig, weil für die elektrische Beleuchtung der Kapelle ein besonderes Kabel gelegt, ferner auf Erfordern der Baupolizeibehörde nachträglich ein besonderer Eingang von außen hergestellt und die Fenster auf den Korridoren des Ostflügels im Hauptgebäude, denen durch den Bau der Kapelle Licht entzogen war, bedeutend vergrößert werden mußten.«
Die Baukosten der Kapelle in Höhe von 33.150,80 Mark setzten sich folgendermaßen zusammen:

  1. Erd- und Maurerarbeiten: .................10.834,75 Mark
  2. Zimmerarbeiten: ...............................2.237,46 Mark
  3. Dachdeckerarbeiten: ............................520,53 Mark
  4. Glaserarbeiten: .................................1.443,94 Mark
  5. Klempnerarbeiten: ...............................852,88 Mark
  6. Tischlerarbeiten: ...............................2.123,84 Mark
  7. Mauersteine u.s.w.: ...........................5.434,81 Mark
  8. Eiserne Träger u.s.w.: ..........................977,37 Mark
  9. Terrazzo-Fußboden: .............................916,60 Mark
  10. Heizung: ...........................................1.650,00 Mark
  11. Glocke: ................................................399,80 Mark
  12. Blitzableiter: .........................................212,25 Mark
  13. Kronleuchter, Wandarme, elektrische
    Leitungen u.s.w., Schlosserarbeiten: ... 2.250,46 Mark
  14. Malerarbeiten: ...................................1.326,11 Mark
  15. Architektenhonorar: .............................1970,00 Mark
  16. Summe:.........................................33.150,80 Mark

 

Durch die Kapelle der Knappschafts-Heilstätte bekam die Pfarrstelle Sülzhayn eine dritte Predigtstätte hinzu, in der alle zwei Wochen ein evangelischer Gottesdienst gefeiert wurde. Sanitätsrat Dr. med. Emil Kremser (1859–1947) schreibt Ende der 1930iger Jahre: »Der Besuch der Gottesdienste ist immer ein guter; die katholischen Patienten werden je nach ihrem Befinden im Anstaltsomnibus zur kleinen Kirche in dem nahe gelegenen Ellrich gefahren.«
Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges lag Sülzhayn von 1949–1989 auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), dazu in der 5km-Sperrzone zur Bundesrepublik Deutschland. Für Religion (»Opium des Volkes«/Karl Marx) und Kirchen (»bürgerlich-kapitalistische Verdummungseinrichtungen«/Walter Ulbricht) war im verstaatlichten Gesundheitswesen des Arbeiter- und Bauernstaates kein Platz. Wann der letzte Gottesdienst in der Kapelle gehalten wurde, konnte bislang noch nicht ermittelt werden. Der Zeitpunkt fällt vermutlich in die 1950iger Jahre. Danach diente die Kapelle über Jahre hinweg als Abstellraum.
In den Jahren 1974–1976 wurde die Knappschafts-Heilstätte zu einem Rehabilitationszentrum für Querschnittsgelähmte umgebaut. Planung und Ausführung des Umbaus lagen beim VEB Hochbaukombinat Nordhausen. Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurde die Kapelle entweiht und entkernt. Durch Einziehen einer Zwischendecke entstanden im Erdgeschoß Räume für die Physiotherapie mit einem Bewegungsbecken, im Obergeschoß ein großer Gymnastikraum.
Die Behandlung von Querschnittsgelähmten auf der ehem. Knappschafts-Heilstätte wurde 1997 eingestellt. Seitdem sind die Gebäude dem Verfall und Vandalismus überlassen. Die Kapelle existiert heute nur noch als Torso.

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Abb. 1: Die ehemalige Kapelle | 2007

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