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Gesichtspunkte zum Bau einer Volksheilstätte für 100A) männliche Lungenkranke
herausgegeben vom Deutschen Central-Komite für Lungenheilstätten im April 1899
Vorbemerkung
  1. In der Anstalt sollen Lungenkranke, so lange nötig, durchschnittlich drei Monate lang verpflegt und behandelt werden.
  2. Die Pfleglinge gehören der großen Mehrzahl nach der Klasse der Leichtkranken an. Durch Voruntersuchung soll die Aufnahme ungeeigneter Kranker verhindert werden.
  3. Das Heilverfahren besteht zur Zeit in ausgiebigstem Genuß der freien Luft, guter Ernährung, Abhärtung durch zweckmäßige Körper-, insbesondere Hautpflege. Erprobte Fortschritte der Heilkunst sollen in den betreffenden Anstalten verwertet werden.
  4. In Anlage und Betrieb der Heilstätte ist bei möglichster Einfachheit und Sparsamkeit allen hygienischen Anforderungen der Neuzeit, darunter auch einem für das Heilverfahren unerläßlichen Krankenkomfort Rechnung zu tragen.
  5. Das Heilverfahren erfordert besondere bauliche Einrichtungen. Die Kranken verbringen in der Regel den Tag außerhalb der Schlafräume, auf Spaziergängen, in Liegehallen u. s. w. Die Schlafräume sind lediglich als solche und nicht zugleich als Wohnräume einzurichten.
  6. Liegehallen sind größere oder kleinere nach Süden offene, sonnige mit Schutzvorrichtungen gegen Wind, Regen und Sonnenglut versehene Räume, in denen Reihen von Liegesesseln mit daneben stehenden Tischchen Platz finden.

A) Die Heilstätte im Allgemeinen

  1. Wahl des Bauplatzes. Geschützte Lage gegen herrschende Winde, namentlich gegen Nord und Ost, jedoch möglichst langer und ausgiebiger Besonnung ausgesetzt.
    Staubfrei; rauch- und rußfrei; möglichst insektenfrei. In der Nähe reichliche, nicht zu dichte Waldung; am besten gemischter, hoher Bestand mit vielem Nadelholz.
    Im Gebirge geschützte Plateaus; obere Abschnitte breiter, nach Süden offener Täler. Möglichkeit, Spaziergänge von der Anstalt aus aufwärts zu machen. Leichte Zugänglichkeit mittels Eisenbahn und Landstraße, auch im Winter. Terrain möglichst groß, bei leichter Abgrenzung von der Umgebung. Trockener, gut zu drainierender, poröser, von organischen Bestandteilen möglichst freier Untergrund. Leicht erhältliches, gutes, reichliches Trink- und Gebrauchswasser. Möglichkeit einer bequemen und einwandfreien Beseitigung der Abfallstoffe
  2. Plan der Gesamtanlage. Was der Bauplatz an Windschutz nicht bietet, möglichst durch Stellung der Baulichkeiten zu gewinnen. Außer dem für die Aufnahme der Pfleglinge nebst allem Zubehör bestimmten Hauptgebäude bzw. Hauptgebäudekomplex (siehe unter B) ein Wohnhaus für einen verheirateten Arzt (6 Zimmer und Zubehör) mit Garten. In angemessener Entfernung kleines Wirtschaftgebäude, erforderlichen Falles mit Stallung für zwei Pferde, etwas Kleinvieh und Geflügel und dazugehörige Nebenräume. In nicht weiter Entfernung ein Wirtschaftsgarten. Soweit erforderlich unter zweckmäßiger Benutzung der Örtlichkeit offene Räume für Liegezwecke. Für den fall, daß ein eigener Wirtschaftsbetrieb zur Milchgewinnung eingerichtet wird, ist der Kuhstall in beträchtlicher Entfernung abgesondert von der Anstalt herzustellen. Ausnutzung des umgebenden Geländes zu gefälligen Garten- und Parkanlagen: Spazierwege mit mäßiger, möglichst systematischer Steigung in waldiger Umgebung, mit zahlreichen Ruheplätzen.
    Gebäude nicht unmittelbar an größerer Verkehrsstraße gelegen. Die zum Aufenthalt der Kranken dienenden Räume tunlichst der Besonnung zugänglich.

B) Hauptgebäude im Speziellen

  1. Vorbemerkungen. Die Pfleglinge könne in ein- oder mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht werden; bei mehrgeschossigen Gebäuden höchstens zwei Stockwerke außer dem Erdgeschoß. Hauptfront möglichst nach Süden; Unterkellerung; wirksame Isolierung gegen Bodenfeuchtigkeit; im Keller in der Regel keine Wohnräume; bequeme, zugfreie Treppen; lange, reichlich breite, heizbare, zugfreie Korridore, architektonische Ausführung überall hygienischen Anforderungen unterzuordnen.
  1. Raumbedarf.
    a) Verwaltungsräume: 1 Wartezimmer, 1-2 Büroräume
    b) Aufenthaltsräume für die Pfleglinge: Schlafräume für 100 Kranke; etwa 10% davon 1 Bett. Bei höherer Belegung der Zimmer als mit 4 Betten kojenartige Teilung durch niedrige Zwischenwände. Für die nicht in Einzelzimmern untergebrachten Kranken können besondere Waschräume in geeigneter Zahl und Verteilung, jedoch möglichst nahe den Schlafräumen vorgesehen werden. Mehrere Tageräume. Speisesaal für 120 Personen; dieser oder einer der Tagesräume muß möglichst leicht auch für kirchliche Zwecke hergerichtet werden können. Anrichteraum. Für jedes Wohngebäude mindestens ein Kleidereinigungs- und Stiefelputzraum.
    c) Räume für Behandlungszwecke: Eine Anzahl Räume für Liegezwecke unmittelbar am Gebäude; vor den Einzelzimmern tunlichst Balkons (im Übrigen siehe A2). Bad mit Duschraum (4-6 Duschen), Wannenraum (3-4 Wannen), Auskleideraum und Zimmer für Abreibungen etc., 1 Untersuchungszimmer, 1 Laboratorium, 2 weitere Räume, verfügbar für sonstige Spezialbehandlung.
    d) Wohnräume für das Personal: 2 Zimmer für 1 Assistenzarzt; 1 Zimmer für 1 Volontärarzt; 2 Zimmer für 1 Verwaltungsbeamten oder 1 Oberin; Räume für höchstens 3 Schwestern, 1 Bürobeamten, 2 Wärter (davon einer verheiratet), 4-6 Frauen oder Mädchen (eventuell zum Teil auch in benachbarten Orten wohnend); 1 Maschinisten. Familienwohnungen Angestellter sind hinsichtlich der Zugänge von den Aufenthaltsräumen der Pfleglinge zu trennen.
    e) Wirtschaftsräume: Kochküche mit Spülraum, Speisekammer, Keller und Eiskeller; Lage zu den Aufenthaltsräumen so, daß Gerüche nicht in die letzteren dringen. Einrichtung zur Reinigung der Wäsche, die grundsätzlich, ehe sie in die Waschküche gelangt, desinfiziert sein muß; Empfangsraum für schmutzige Wäsche; Waschküche; Trockenboden bzw. künstlicher Trockenapparat; Roll-, Plätt- und Flickstube; Raum für reine Wäsche.
    f) Andere Nebenräume: Empfangsraum für infizierte Gegenstände; Desinfektionskammer; Trocken- und Abgaberaum für desinfizierte Sachen.
    g) Klosetts nach Bedarf.
    h) Einrichtung zu Leichenöffnungen.
  2. Größe und Höhe der Räume.
    Schlafräume der Pfleglinge mindestens 30 Kubikmeter Luftraum für den Kopf; Mindesthöhe 3,50 Meter; zwischen je zwei Betten mindestens 1 Meter Zwischenraum. Liegehallen 3 Meter tief, von beiden Längsseiten freistehend, mit Fenstern an der Rückwand.
  3. Fußböden, Wände, Decken.
    Gut zu reinigen und zu desinfizieren; dicht, ohne Fugen; glatte Oberfläche; ausgerundete Ecken; keine unnötigen Vorsprünge. Undurchlässiger, auf feuchtem Wege desinfizierbarer, tunlichst warmer Fußbodenbelag. Anstrich der Wände bis zur Höhe von 1,70 Meter in abwaschbarer Farbe.
  4. Türen und Fenster.
    Leicht abwaschbar; ohne Hohlkehlen. Große Fenster mit oberen Kippflügeln. Doppelfenster nur in besonderen Fällen erforderlich; wenn nötig, stellbare Jalousien.
  5. Heizung und Lüftung.
    Zentralanlage, welche beides zweckentsprechend vereinigt. Leicht regulierbare Heizkörper auch auf Treppen und Korridoren. Höchstleistung in den Zimmern und Aufenthaltsräumen: 15° Réaumur bei -20° Außentemperatur.
  6. Beleuchtung.
    Beim Vorhandensein billiger Kraft empfiehlt sich elektrische Anlage; wenn Anschluß an Gasleitung möglich, Gasglühlicht; eventuell Acetylen-, sonst Einzelbeleuchtung.
  7. Wasserversorgung.
    Frostfreies Reservoir. Zu- und Abflußleitung für alle Wirtschafts-, Bade- und Waschräume. Zapf- und Ausgußstellen auch im Untersuchungszimmer und Laboratorium, in geeigneter Verteilung auch auf den Korridoren.
  8. Beseitigung der Abgänge.
    Wo irgend möglich, Wasserklosetts; sonst bei angemessener Lüftung Tonnensystem mit Torfmullstreuung. Der Auswurf soll auf kürzestem Wege unschädlich gemacht werden. Abflußleitung auch für Brauchwasser und Urin mit Spülung. Staubsichere Aufbewahrung und Beseitigung von Müll und Asche
  9. Baukosten.
    Die gesamten Baukosten sollen in tunlichst niedrigen Grenzen gehalten werden. Die Ausführung des Hauptgebäudes und der Nebenanlagen (Wohnhaus für den verheirateten Arzt etc.), jedoch ausschließlich Bauplatz und innere Mobiliareinrichtung, ist bei Annahme eines Grundpreises von 15 Mark für 1 Kubikmeter, schon für 250.000 Mark möglich.

A) Wünschenswerter Umfang der Anstalt mindestens 60, höchstens 200 Betten.

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